Frankreich ein Bierland? Niemals – denkt man. Die trinken doch nur Wein. Völlig falsch – das habe ich auf einer zweiwöchigen Reise durch Südfrankreich jedenfalls so erlebt. Frankreich hat mittlerweile eine so vielfältige und spannende Craftbeer-Szene, die kaum jemand hierzulande kennt.Die deutsche Craftbeer-Szene schaut nach Skandinavien, Holland und Belgien, Großbritannien und natürlich zum großen Vorbild USA. Über die Craftbeer-Szene unserer südlichen Nachbarn wie Spanien, Italien und Frankreich weiß man in Deutschland wenig. Einer der größten deutschen Internet-Shop für Craftbeer etwa hat kein einziges französisches Bier im Sortiment. Erstaunlich, denn da gibt es so viel zu entdecken.
Oft sind es Vorurteile, die eine Beschäftigung der Craftbeer-Trinker mit diesen Ländern verhindern. Gelten diese Länder doch als Weinländer, die keine eigene Biertradition wie die Belgier oder Deutschen hervorgebracht haben. Das stimmt zum Teil sogar. Denn außer Kronenbourg und vielleicht noch Pelforth, das heute zum Heineken-Konzern gehört, bekam man beim Urlaub in Frankreich kaum ein anderes inländisches Bier ausgeschenkt. In den letzten drei bis fünf Jahren hat sich das allerdings radikal geändert. Man braucht nur in einen französischen Supermarkt zu gehen und findet dort regalweise nationale und internationale Craftbiere. Ich habe den Eindruck, in Frankreich geht es mit der Craftbeer-Bewegung sogar viel schneller voran als in Deutschland.
Alter französischer Bierstil neu entdeckt: Bière de Gard
Nichtsdestotrotz gibt es insbesondere im Norden Frankreich aber auch im Süden eine lange Biertradition. Um 1900 gab es in Frankreich noch mehr als 1.000 Brauereien. Alte Bierstile wie das Bière de garde wurden schon im 18. Jahrhundert in französischen Bauernhäusern gebraut. Traditionell brauten die Familien zum Ende des Frühlings dieses Bier und lagerten es dann in Fässern im kühlen Keller. Daher der Name, der übersetzt “Bier zur Aufbewahrung” heißt. Durch die lange Lagerung und Nachgärung im Fass oder der Flasche verändert sich der Charakter des Bieres und der Alkoholgehalt steigt. Früher wurde die Flaschen meist in Champagnerflaschen abgefüllt.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts – mit dem Siegeszug der untergärigen Biere – verschwand das obergärige Biére de Gard fast ganz, wie so viele andere alte Bierstile auch. Der Brasserie Duyck aus Jenlain, einem Dorf in französischen Département Norden, ist es zu verdanken, dass das Bière de Gard auch heute noch seine Liebhaber findet. Denn Duyck hat nie aufgehört an diesen Bierstil zu glauben und ihn zu brauen. Heute hat die Brauerei den Namen des Dorfes “Jenlain” angenommen und erlangte besondern in den 1970er unter Studenten und Bierliebhabern in Frankreich einen Kultstatus. In jüngster Zeit wurde das Biére de Gard ähnlich wie das belgische Saison-Bier auch von amerikanischen Craftbeer-Braueren entdeckt und erfolgreich neuinterpretiert.
Craftbeer in Frankreich
Heute wird die Stadt Montpellier im Süden immer mehr zum neuen Hotspot der jungen Craftbeer-Szene Frankreichs. Mit dem hierzulande kaum bekannten Craftbeer-Festival “BEERLOVEFEST” findet seit zwei Jahren im September eines der wichtigsten Bierfestivals in ganz Frankreich statt. Zwei Tage lang präsentieren 25 nationale und internationale Brauereien über 200 verschiedene Biere und 25 Tasting-Events. Mit tollen Bottle-Stores und Multi-Tap-Bars wie Couleurs de Bières oder dem Bear´s House, wo sich am 6. Oktober die deutschen Shooting-Star-Biere FrauGruber und Fürst Wiacek bei dortigen “Oktoberfest” ein Battle lieferten, besitzt Montpellier eine ausgezeichnete Infrastruktur für den Craftbeer-Liebhaber. Kein Wunder – denn die Stadt beheimatet eine ältesten und größten Universitäten in ganz Frankreich. Mit mehr als 60.000 Studenten ist jeder vierte Bewohner der Stadt Student.
Entdeckungen auf dem Land
Aber die Craftbeer-Szene ist keinesfalls auf Montpellier beschränkt. In fast jeder Kleinstadt im Süden findet man heute mindestens eine Mikrobrauerei und/oder Craftbeer-Shops und -Bars. Beispiele sind die Brasserie Meduz in Uzès oder die Bio-Brasserie Alaryk in Béziers. Aber selbst in entlegenen Regionen wie den Cevennen aus dem wunderschönen aber sehr einsamen Departement Lozère finden sich jede Menge Kleinstbrauereien, die ihr Bier in lokalen Supermärkten und auf Bauern- und Biomärkten verkaufen, wie zum Beispiel die Brasserie du Méjean.
Unterschiede Deutschland und Frankreich
Warum geht es in Frankreich so schnell und in Deutschland mal abgesehen von Hotspots wie Hamburg, München und vor allem Berlin so langsam? In Frankreich gab es bis vor wenigen Jahren tatsächlich ein Strukturproblem, ganz ähnlich wie das in den 70ern in den USA war. Außer einer Handvoll großer Industriebier-Sorten war kaum anderes Bier im Supermarkt oder in den Kneipen und Restaurants zu finden. Zwar haben die Franzosen immer schon auf Grund der geografischen und kulturellen Nähe belgisches Bier getrunken, aber der Bierkonsum war im Gegensatz zum Weinkonsum verschwindend gering. Keine Frage, auch heute wird immer noch sehr viel mehr Wein in Frankreich getrunken als Bier, aber seit es an allen Ecken Craftbeer gibt, wächst der Bierkonsum stark. In vielen Regionen Deutschlands dagegen trinken die Leute am liebsten immer noch lokale Biersorten wie Kölsch oder Alt. Für Newcomer ist es in Deutschland deshalb sehr schwierig, Fuß zu fassen.
Dazu kommt, dass die Großbrauereien, deren Bier seit Jahren immer weniger getrunken wird, mit allen Mitteln versuchen, ihre Marktanteile zu behaupten. Deshalb gibt es in Deutschland nur wenige Multi-Tap-Bars mit 20 oder mehr Zapfhähnen . Das wird leider vielerorts auch durch vertragliche Vereinbarungen, die dem Wirt verbieten, andere Biermarken auszuschenken, wirkungsvoll verhindert. Der Kunde soll offenbar nicht erfahren, was es alles für tolle andere Biere gibt. Aber natürlich gehört auch Wissen, Offenheit und Risikobereitschaft bei den Wirten dazu, die hier und da auch zu wünschen übrig lässt.
Da es in Frankreich keine so ausgeprägten, unterschiedlichen Bierkulturen gibt, ist der Franzose offener für Neues, als viele Deutsche. Die Deutschen sind stolz auf ihr Reinheitsgebot und ihre Biertraditionen. Deshalb ist es fast unmöglich, einen eingefleischten Weizenbiertrinker etwa für ein Weizen IPA – also eine kreative Neuinterpretation dieses urdeutschen Bierstils – zu begeistern. Der möchte sein Augustiner so haben wie er es gewohnt ist und nicht anders. Oder “sein” Kölsch – oder “sein” Pils. Das gibt es in Frankreich so kaum.
Außerdem legt der Franzose viel mehr Wert auf Ess- oder Trinkgenuss und ist bereit, dafür entsprechend viel Geld zu bezahlen. Zwar sind auch in Frankreich mittlerweile die Discounter aus Deutschland angekommen, aber für ein gutes Essen oder einen guten Wein geben unsere Nachbarn immer noch sehr viel mehr Geld aus als wir. Die Preise für Bier waren in Frankreich auch immer schon deutlich höher. Bei 3,50 Euro für ein 0,33-Fläschchen Bier bekommt deshalb kein Franzose Schnappatmung. Auch braucht man einem Franzosen nicht zu erklären, was ein Tasting ist. Der kennt das bestens von den unzähligen Weindegustationen.
Aber nichtsdestotrotz – auch in Deutschland wird immer mehr Wert auf Genuss und Qualität gelegt. So wie beim Fleisch oder Brot immer mehr Konsumenten bereit sind, auch mal etwas mehr Geld zu zahlen, so wird das auch beim Bier immer mehr kommen. Junge Leute und Frauen sind dabei durchaus offener als die Männer, die immer noch an ihren angestammten Sorten und Zech-Ritualen hängen. Es geht voran – aber langsamer als sich viele Craftbeer-Brauer wünschen. Das stolze Bierland Deutschland muss aufpassen, dass es nicht völlig abgehängt wird – selbst von der einstigen Bier-Diaspora Frankreich.
Gewinnspiel
Damit Ihr Euch von der Biervielfalt in Südfrankreich einen kleinen Eindruck verschaffen könnt, habe ich eine Kiste mit 12 Flaschen von der Brasserie Meduz aus Uzes mitgebracht und verlose diese hier. Klick einfach auf den folgenden Link:
Weiterführende Links:
Biere France (Spezielles Such-Portal für französische Biere)