Im Juli habe ich eine Woche in Nordholland verbracht und bei der Gelegenheit einige Craftbeer-Brauereien besucht. Dass ich mehr als begeistert war, ist nicht zu überlesen.
Amsterdam ist neben Kopenhagen wahrscheinlich die Stadt mit der vielfältigsten Craftbeer-Szene in der EU – London mal außen vor, denn England gehört ja wohl bald nicht mehr dazu. Berlin und Hamburg haben natürlich auch interessante Brauereien und Bars, aber mit Amsterdam können sie, denke ich, (noch?) nicht mithalten. Vergleichbar schnell wachsende Craftbeer-Szenen gibt es vielleicht noch im Osten – vor allem in Warschau, Budapest und den baltischen Staaten sowie Skandinavien.
In und um Amsterdam herum kann der Craftbeer-Fan jede Menge entdecken. Keine zehn Kilometer entfernt in Haarlem zum Beispiel mit Uiltje und Jopen gleich zwei großartige Brauereien. Fährt man etwas weiter, finden sich im Umkreis von 65 Kilometern unzählige Mikrobrauereien und solche, die bereits stark gewachsen sind wie De Molen in Bodegraven oder Kompaan in Den Haag.
Craftige Viertel in Amsterdam
Aber bleiben wir in Amsterdam. Es gibt so viele Brauereien im Stadtgebiet, dass es Sinn macht, sich auf ein überschaubares Arreal zu konzentrieren – vor allem wenn nur ein Tag Zeit bleibt. Mein Tipp deshalb: Die Stadtbezirke östliches Hafengebiet und Amsterdam Noord. Beide liegen ganz nah am Zentrum und sind von dort zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Wer mit dem Auto kommt, parkt am besten im Parkhaus Zentrum Oosterdok oder Q-Park IJ Oever Centrum. Dabei fallen allerdings Parkkosten von ca. 30 Euro für sechs Stunden an. Immer noch preiswerter als ein Knöllchen, das hier gerne mal 100 Euro aufwärts kosten kann. Im Hafengebiet sind viele Wasser zu überqueren, dank schlauer Stadtplanung gibt es in Amsterdam aber Unmengen an Fußgängerbrücken und nach Amsterdam Noord könnt ihr sogar mit der kostenlosen Fähre fahren.
Homeland Brewery
Vom Parkhaus Q-Park geht es vorbei an einer beeindruckenden Zeile moderner Hochhausbauten entlang der Bahntrasse in Richtung Westen. Kurz vor der Brücke geht Ihr links die Treppe runter, um die Bahngleise zu unterqueren. Rechts davon direkt am Wasser könnt ihr im Delirium Café Amsterdam 500 Sorten Bier probieren. Da wir aber noch einiges vorhaben, gehen wir weiter durch den schönen Dijkspark, wo zwei Biergärten mit Traumblick aufs Wasser zum Verweilen verlocken. Auch hier bleiben wir standhaft und lassen auch die Urban Gardening Projekte rechts liegen. Denn bald taucht auch schon unsere erste Station, die Homeland Brewery Amsterdam, auf. Erst zwei Jahre jung, liegt sie auf dem Gelände des ehemaligen Marinehafens. Die Lage ist – obwohl mitten in der Stadt – geradezu idyllisch. Im eher unansehnlichen Gebäude, das Hardcore-Retro-Fans aber mit Sicherheit begeistert, haben die hippe Pension und das originelle Brewpub mit schöner Außenterrasse ihren Platz. Von dort aus habt ihr einen wunderbaren Blick auf den Hafen mit historischem Segelschiff, Spielpark und Schwimmbad im Hafenbecken.
Anfangs haben die Brauer hier ausschließlich für die Pension Homeland gebraut, doch die Brauerei ist schnell gewachsen und bringt es nun auf über 2.000 Hektoliter Bier pro Jahr. Das Brewpub und die Pension haben eine einzigartige Atmosphäre – irgendwie aus der Zeit gefallen, aber trotzdem oder gerade deswegen mit reichlich Hipster-Flair. Die vielen Angestellten, die hier herumflitzen, sind jung, sehr freundlich, ein bisschen chaotisch. Mich erinnert es an eine internationale Studenten-WG – bis auf die Preise: 140 Euro kostet ein einfaches Doppelzimmer in dem kleinen Hochbau mit Retro-Charme. Dafür sind der Blick und die Lage einzigartig. Wir bestellen drei der Hausbiere: Spelt – ein sehr fruchtig schmeckendes Dinkelbier, Katzwijm – ein spritzig, gut trinkbares IPA mit wenig Bittere, aber 6,5 Prozent Alkohol, und Pieremegoggel, ein Saison mit Citrahopfen. Schmeckt! Ich würde gerne ein paar Dosen kaufen, der zuständige Mitarbeiter ist aber gerade nicht greifbar. Egal – war trotzdem schön.
https://www.homeland-brewery.nl/
Brouwerij ‘t IJ
Weiter geht es über die Hafen-„Inseln“ Wittenburg und Oostenburg. Hier liegen in unmittelbarer Nähe mit Boys Bier und der Bird Brewery zwei weitere Brauereien, da sie kein Brewpub haben, lassen sie wir aber links liegen. Wir steuern eine Institution in Amsterdam an: Das wunderschöne Brewpub der Brauerei mit dem sonderbaren Namen ‘t IJ (ausgesprochen „Brauerei Thai“). Zur Erklärung: Das IJ war ursprünglich ein Meeresarm der Zuiderzee, der die Amsterdamer Innenstadt von Amsterdam-Nord trennte. IJ stammt von den germanischen Wörtern Aa, Ae oder Die für „Wasser bzw. Gewässer“ ab. Und ‘t heißt im Niederländischen „das“ oder „es“.
Die Brauerei liegt direkt am Wasser in einem ehemaligen Badehaus direkt neben einer alten Windmühle. Schon seit über 20 Jahren. Ihre Biere könnt ihr in fast jedem Amsterdamer Café oder Restaurant sowie in zahllosen Kneipen in Holland trinken. Wir probieren fünf Sorten vom Fass: Zatte – der Brauerei-Klassiker, der schon 1985 hier gebraut wurde. Ein Triple nach belgischer Tradition mit 8 Prozent Alkohol. Fruchtig, frisch und süffig zugleich; Flink – ein leckeres Pale Ale mit Galaxy und Mosaichopfen gestopft – mit nur 4,7 Prozent Alkohol gut trinkbar. Natte – ein klassisches Dubble mit 6,5 Prozent, das ältestes Bier der Brauerei und das I.P.A. – eines der besten IPAs, die ich kenne.
https://www.brouwerijhetij.nl/
De Biertuin/De euwige Jeugd
So schön es im Biergarten der Brauerei ‘t IJ auch ist, die Entdeckerlust zieht uns weiter. Es geht vorbei am Wasser mit schicken Wohnbooten ins moderne Oostpoort. Ein Stadtteil, der durch den Abriss alter Fabrikgebäude erst in den frühen 2000er Jahren entstanden ist. Seit 2007 sind viele neue Gebäude entstanden. Seit 2008 heißt das Quartier Oostpoort. Hier suchen wir die Brauerei „De euwige Jeugd“ mit Brewpub. Den gibt es aber noch gar nicht wie sich herausstellt. Ein Anwohner sagt uns, dass das entkernte Eckhaus vor dem wir stehen gekauft wurde und gerade zur Brauerei umgebaut werden soll.
Nicht schlimm, denn nur 100 Meter weiter liegt das hippe Craftbeer-Pub „de Biertuin“. Die Außenterrasse ist brechend voll, wir gehen also rein. Hier ist bei dem sonnigen Wetter weniger los. Die Bar ist sehr stylisch, die Wände teils mit Beton, Holz und Backsteinen verkleidet. Wir trinken das Walhalla Loki IPA – ein fantastisches IPA, sehr fruchtig frisch, trüb und mit 5,5 Prozent nicht zu viel Alkohol. Außerdem ein PolyAmorie – ein Mango Sour von Ödipus, wo wir später noch hinwollen.
Bruut Beer
Weiter geht es auf die Hafeninsel Cruquiuseiland – wieder ein völlig neu entstandenes Wohn- und Geschäftsquartier. Wir gehen direkt am Wasser vorbei an einer endlos langen Häuserzeile alter Backstein-Lagerhäuser mit schicken Loftwohnungen. Am Ende endlich die Brauerei Bruut Beer in einem erst vor neun Monaten bezogenen Gebäude einer ehemaligen Ölfabrik, die komplett und sehr eindrucksvoll umgebaut wurde. Das Brewpub liegt direkt neben der Brauerei, in der gerade Mitarbeiter einer großen niederländischen Architekturfirma zu 80er Jahre Hits feiern. Hier wirkt alles noch etwas unfertig und neu und erinnert an das Berlin in den Nachwende-Jahren. Im Pub stehen witzige Details wie ein Uralt-Kompakt-Fernseher, auf dem Kinder alte Computerspiele aus den 80er spielen. Wir trinken auf der Außenterrasse ein ordentliches „Fresh IPA“ und das „Kersenbier“ – ein sehr gelungenes Kirschbier mit 6,3 Prozent Alkohol. Zum Abschluss dann noch eine Empfehlung des netten Barkeepers – ein sehr leckeres Champagnerbier.
Oedipus Brewing
Jetzt heißt es, übersetzen nach Amsterdam Noord. Ca. 20 Minuten dauert der Fußmarsch zur Anlegestelle der Fähre. Die Fähre ist kostenlos, wie viele in Amsterdam. Erstaunlich, was die Holländer fertigbringen, davon können wir in Deutschland, wo die ÖPNV-Tickets ständig teurer werden, nur träumen. Überhaupt scheinen im Vergleich in Amsterdam der Strukturwandel und die Stadtplanung um Lichtjahre besser und innovativer zu sein. Wie hier in kürzester Zeit riesige Industriebrachen erfolgreich in kreative, moderne Quartiere mit herausragender Architektur und hoher Lebensqualität umgewandelt werden, davon können sich unsere Städte eine Scheibe abschneiden.
Jetzt aber zu Oedipus – eine der kreativsten Craftbeer-Brauereien in Europa. Kleiner Wermutstropfen: Vor Kurzem hat sich der Industriebiergigant Heineken bei Oedipus eingekauft. Bisher ist davon aber noch kaum was zu spüren – hoffen wir, dass es so bleibt. Die Brauerei liegt auf einem großen Gewerbegelände mit riesigem Außenbereich. Wer in den Schankraum hineingeht, sieht erst mal bunt und wird fast erschlagen von den vielen Mustern, Farben und Pflanzen der Marke. Wild, schrill und poppig wie die Etiketten der Flaschen, so ist dieser Raum eingerichtet. Ganz nach dem Motto der vier Gründer, die sich vor allem mit experimentellen Sauer-Bieren einen Namen gemacht haben: „Taste colors!“.
Ein anderes Konzept, das die vier umgesetzt haben: nicht nur Bier anzubieten, sondern auch regelmäßige Events, die Craftbeer, Musik und Kunst zusammenbringen. Jeden Sonntag könnt ihr zum Beispiel „Liquid Jams“ besuchen, wo leckere Burger gebraten und Craftbeer zu coolen Vibes eines lokalen DJ´s getrunken werden. Wir bestellen das sauer erfrischende „Swingers“ – eine Gose mit Limone. Das „Gaja“ – ein tolles IPA, und das Kinder Yoga – ein fantastisches Imperial Stout. Ein wahrhaft würdiger Abschluss unserer Tour.
Hoop/Breugem
Hier noch ein kurzer Nachtrag zur neuen Brauerei Hoop/Breugem, die ich zwei Tage zuvor besucht habe. Sie liegt ca. zehn Kilometer vom Zentrum Amsterdams in Zaandijk und ist einen Besuch wert. Die Brauerei ist noch jung, hat sich 2016 gegründet und die bereits bestehende ältere Marke Breugem übernommen. Das Brewpub direkt an der Brauerei ist sehr hübsch, man kann Tastings und Besichtigungen buchen, einen Bottlestore gibt es auch. Im Brewpub lässt sich auch gut speisen.
Überhaupt schenken die Amsterdamer Brauer dem spannenden Thema Essen und Craftbeer eine viel größere Beachtung als bei uns. Eine Reihe von Restaurants in der Stadt haben sich auf die Kombination Craftbeer und Fine Dining spezialisiert, etwa „Beer loves Food“. Aber auch die meisten Brauereien bieten wie Hoop in ihren Brewpubs durchweg ordentliche Speisen an. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Brauerei Troost mit vier Standorten in Amsterdam. Aber das ist ein anderes Thema. Getrunken haben wir bei Hoop zwei Taster mit je vier unterschiedlichen Bieren. Außerdem noch eine Flasche Oudt Heijn – ein außerordentliches Old Ale – ein alter Bierstil, der leider nur noch selten gebraut wird.
Liste mit weiteren interessanten Craftbeer-Brauereien in Amsterdam:
Interessante Brauereien außerhalb Amsterdams:
Egmont Sancti Alberti (Nano Brewery)