Craftbeer bleibt anstrengend und findet trotzdem seine Nische. Es wird zunehmend preiswertes, „Pseudo“-Craftbeer in Supermärkten, Tankstellen und beim Discounter geben. Echtes Craftbeer wird dagegen teurer und eher in Spezialgeschäften, guten Restaurants und Craftbeer-Bars angeboten. Damit holen wir in Deutschland nur nach was in anderen Ländern längst passiert ist.
Ich glaube nicht an einen Craftbeer-Trend hin zu „einfach trinkbaren“ Bierstilen wie Helles, Pils oder Kellerbier. Auch wenn Experten wie der amerikanische Craft-Bierpionier Ken Grossmann von Sierra Nevada dies schon vor zwei Jahren vorausgesagt hat. Oder wenn Bier-Judge-Legende Ron Smith jüngst in seinem vielbeachteten Facebook-Post „What made Craft Beer ist now Killing Craft Beer“ sich darüber aufregt, dass Bier nicht mehr wie Bier schmeckt: „So, welcome to the new world of beers that no longer tasted, or looked, like beer. Hazy Milkshake Smoothie Raspberry Jelly Donut Pale Ale Aged in a Rye Whiskey Barrel (that Previously Held a Cinnamon Mead) served on Nitro Through a Filter Full of Pineapple Chunks into a Sugar-Rimmed Glass and Topped with a Marshmallow. What the fuck have we done to beer ?!?“. Ich stimme zu, dass es manche Brauer mit dem Marketing-Bullshit übertreiben. Niemand braucht ein Bier, dass mit Hefen erzeugt wurden, die aus den Schamhaaren des Brauers gewonnen wurden. Und auch kein Bier das mit aufbereitetem Wasser aus Piss-Rinnen von Bierfestivals gebraut wird.
Trotzdem: Craftbeer lebt vom Nimbus des Außergewöhnlichen und muss deshalb auch anstrengend bleiben. Wer ein bequemes „Schüttbier“ trinken möchte, braucht kein teures Craftbeer. Warum soll der Kunde denn auch für ein Craftbeer-Helles das Dreifache bezahlen, wenn es nicht anders schmeckt wie ein Augustiner oder Schönramer? Oder ein aufgemotztes „Kölsch-Style-Bier“, wenn es einen Kasten mit hervorragendem Mühlen Kölsch im Getränkemarkt für 20 Euro gibt? Craftbeer lebt von coolen Typen, die coole Biere brauen. Standardbiere können die meisten traditionellen Brauereien in Deutschland besser. Dazu braucht es keine Craftbeerbrauer. Das ist vielleicht der Unterschied zu Ländern wie den USA, wo es Traditionsbrauereien wie bei uns nie gab.
Craftbeer wird deshalb meiner Meinung nach auf lange Sicht in Deutschland eine sehr kleine Nische bleiben. Der große Durchbruch wird nicht kommen, wenn auch viele davon immer noch träumen. Craftbeer wird von Menschen gekauft, die bewusster konsumieren wollen: Also von Feinschmeckern auf der Suche nach dem nächsten Kick oder von Leuten, die Craftbeer einfach cool finden und sich absetzen wollen von der breiten Masse. Aber die Masse trinkt weiter Industriebier, es sei denn, das Industriebier würde so teuer, dass man dann auch gleich ein vernünftiges Bier kaufen kann. Das ist aber nicht zu erwarten. Viel wahrscheinlicher sind für mich diese beiden Szenarien:
- „Pseudo-Craftbeer“ an Tankstellen und beim Discounter
Einige wenige Craftbeerbrauereien werden so groß, dass sie ihre Produktion professionalisieren können und dadurch effizienter werden. Oder sie werden schlicht von großen Industriebrauern aufgekauft, wie das in den USA ständig passiert. So wurde die in einer Studentenbude in San Diego gegründete Brauerei Ballast Point im Jahr 2015 für eine Milliarden Dollar vom Getränkekonzern Constellation Brands (vertreiben u.a. Corona) aufgekauft. Der ehemalige Hobbybrauer Jack White wurde damit zum Milliardär. In der Größenordnung werden wir so etwas in Deutschland nicht erleben. Dennoch glaube ich, dass einige deutsche Craftbeer-Brauer auf diesem Weg sind. Und es ist nun mal so: Je größer die Firma, umso effizienter kann sie produzieren. Das Bier wird dadurch preiswerter und von breiteren Käuferschichten gekauft.
Außerdem brauen angesichts der schwindenden Nachfrage bei ihren Stammbieren immer mehr Industriebrauer selbst Bier, dass sie als „Craftbeer“ vermarkten. Siehe Radeberger, Bitburger, Eichbaum etc. Diese werden dann in Supermärkten oder sogar beim Discounter vertrieben, wie das Beispiel Lidl zeigt. Von solchem „Pseudo-Craftbeer“ werden wir sicher in Zukunft noch mehr sehen. Nur hat das dann mit der ursprünglichen Idee von Craftbeer nicht mehr sehr viel zu tun.
- „Echtes Craftbeer“ wird teuer und bleibt in der Nische
Das eigentliche Craftbeer – also innovatives, kreatives Bier gebraut von Kleinstbrauereien – muss teurer werden, damit diese Brauereien überleben können. Ansonsten sind viele Geschäftsmodelle zum Scheitern verurteilt. Auch diese Entwicklung ist im Ausland schon längst erfolgt. Die meisten Kunden aus dem Ausland wundern sich, dass Craftbier in meinem Laden billiger ist als sie es von zu Hause gewöhnt sind. Insbesondere etwa in Skandinavien, Frankreich, Spanien, Italien und den USA herrscht ein deutlich höheres Preisniveau. Das hält dort aber kaum jemanden ab, Craftbeer zu kaufen. Der höhere Preis ist auch gerechtfertigt. Denn das von kleinen Brauereien hergestellte Bier wird mit einem wesentlich höherem Personal- und Rohstoffeinsatz gebraut. Außerdem ist es etwas wirklich Besonderes, weil es entweder aus der Region stammt, wo es verkauft wird, einzigartig schmeckt und/oder eine interessante Story vorzuweisen hat.
Diese Biere findet man dann nicht unbedingt im Supermarkt, sondern eher im Spezialfachhandel und zunehmend in Kneipen bzw. Craftbeer-Bars oder als Essensbegleitung zum Fine Dining. Wie im Feinkostladen gibt es nur hier das geschulte Personal, das die Besonderheit eines solchen Bieres vermitteln kann. Solche Geschäfte, Bars und Restaurant werden aber eher in großen Städten mit kaufkräftigen Kunden wirtschaftlich zu betreiben sein als auf dem platten Land. Dort bleibt dann nur der Online-Handel, der es aber auch schwer haben wird. Denn Bier ist schlecht zum Verschicken geeignet, weil Bierflaschen schwer und groß sind. Die Transportkosten und das Bruchrisiko werden sich nicht ganz wegrechnen lassen.
Dass wir einen neuen Begriff wie „Kreativbier“ brauchen, wie Oliver Wesseloh und sein Verband der Kreativbrauer es vorschlägt, glaube ich ebenfalls nicht. Der Begriff „Craftbeer“ hat sich international durchgesetzt und den kriegen wir nicht mehr weg. Die Kunden, die Wert auf Qualität legen, werden auch so merken, dass es einen Unterschied zwischen einem „Pseudo-Craftbeer“ in Discounter und einem „Kreativbier“ im Spezialgeschäft gibt. Nicht auszuschließen ist, dass es vielleicht auch eine Craftbeermarke aus Deutschland schaffen wird, groß zu werden, ohne seine Seele zu verkaufen. Sierra Nevada hat das in den USA jedenfalls geschafft. Doch wer das sein wird – who knows? Auf jeden Fall bleibt es spannend. Auch wenn Craftbeer ein Nischengeschäft bleiben wird, ist das aus meiner Sicht nichts Schlechtes. Denn in einer hochpreisigen Nische lässt es sich auch ganz gut leben.