Da ich beruflich viel in Berlin zu tun habe, kenne ich die Berliner Craftbeerszene ganz gut. Es ist schon Wahnsinn, wie schnell in der Hauptstadt die Craftbeer-Bars, Brauereien und Festivals aus dem Boden sprießen. Allein in unmittelbarer Nähe des Rosenthaler Platzes sind vor kurzem vier neue Crafbeer-Bars (Stone – Prenzlauer Berg, Mikkeller, Brewdog und The Castle – alle Mitte) entstanden. Kürzlich habe ich aber die Bierfabrik Berlin besucht, die abseits vom Mitte-Trubel tief im alten Osten der Hauptstadt liegt und nicht weniger spannende Biere braut wie wir sie von den internationalen Craftbeer-Größen kennen.
Am Dong Xuan Center vorbei
Vom Rosenthaler Platz in Berlin Mitte kann man mit der M8 überirdisch bis nach Marzahn durchfahren. Es geht fast immer geradeaus zuerst über die Landsberger Allee und dann die Herzbergstraße entlang immer weiter Richtung Osten. Für mich, der noch nie bis nach Marzahn vorgedrungen ist, eine interessante Strecke. Vorbei zum Beispiel am Dong Xuan Center in Lichtenberg – ein gigantischer Asia-Großmarkt, der eng mit der Geschichte der Vietnamesen in der DDR verbunden ist. Auf dem 165.000 Quadratmeter großen Areal arbeiten 1.500 Vietnamesen bei rund 450 Händlern. Entstanden ist das Zentrum im Jahr 2003 auf dem Gelände des VEB Elektrokohle – einem stillgelegten Industriekombinat aus DDR-Zeiten. Gekauft hat die Industriebrache der Vietnamese Nguyen van Hien, der nach dem Untergang der DDR wie viele der rund 60.000 Arbeiter aus dem sozialistischen Bruderstaat Vietnam auf der Straße stand. Viele begannen sich mit Blumenhandel oder illegalem Zigarettenhandel über Wasser zu halten. So auch Nguyen van Hien. Bis er auf die Idee kam, einen Großmarkt für asiatische Lebensmittel und sonstige Waren aufzubauen. Eine einmalige Erfolgsgeschichte, die noch immer weiter geschrieben wird.
Der Charme von Untergang und Aufbruch
Doch ich will ja woandershin an dem Tag, mein Termin mit Sebastian Mergel, einem der beiden Gründer der Bierfabrik Berlin, wartet. Ich steige an der Kreuzung Beilsteinerstraße – Allee der Kosmonauten aus der Straßenbahn und stehe mittendrin – im berüchtigten Stadtteil Marzahn. Zehn Minuten Fußweg sind es noch bis zu meinem Ziel. Über typische Ostberliner Gehwegplatten – rechts und links sehe ich neu gebaute Einfamilienhäuser. Hier scheinen die Grundstückspreise noch erschwinglich zu sein. In der Ferne sehe ich hässliche Plattenbauten und ringsum ragen halb abmontierte Industrieanlagen in den blauen Himmel. Die magische Mischung aus DDR-Charme und Aufbruchstimmung, die den Osten Berlins ausmacht. Hier noch lebendig. Schließlich biege ich in die Straße “Zur alten Börse” ein und laufe auf ein größeres Backsteingebäude unter alten Lindenbäumen zu, das sich als die Alte Börse Marzahn entpuppt. Hier – so erzählt mir Sebastian später – wurden früher Rinder, Schweine, Gänse und Schafe an Berliner Bauern verkauft. Heute beherbergt die Alte Börse unter anderem die Braustube Marzahn, mit einem schönen Biergarten, wo es natürlich auch das Bier aus der Bierfabrik gibt. In dem rund 30.000 Quadratmeter großen Areal finden außerdem Events und Tagungen statt. Ich glaube nicht, dass viele Touristen und Hipster aus Berlin Mitte sich hierher verirren, deshalb könnte man noch von einem Geheimtipp reden.
Bierfabrik Berlin
Von weitem schon sehe ich Sebastian auf einer Holzbank mit zwei seiner Angestellten vor dem Brauereigebäude mit einem Bier. Das Gebäude ist ein schlichter einstöckiger, mit grauem Beton verputzter Zweckbau, der aber für seinem jetzigen Zweck ideal geeignet zu sein scheint. Wir trinken natürlich zuerst ein frisch gebrautes Pale Ale, das mir durstig von der Fahrt in der Hitze hervorragend schmeckt. Sebastian erzählt, dass er ursprünglich aus Bayern stammt und in der Pfalz den Winzerberuf gelernt hat. Dann hat es ihn nach Berlin verschlagen, wo er 2014 mit Freunden als Gypsybrauer im Stadtteil Wedding mit dem Bierbrauen begann. Damals nannten sie sich noch Beer4Wedding und haben unter anderem das beliebte Wedding Pale Ale gebraut. Mit dem Umzug nach Marzahn nannten sie sich dann um – in Bierfabrik Berlin. Im Brauhaus ist genug Platz für ein 1000-Liter-Sudhaus, ein Kühlhaus, drei Gärtanks und zwölf Lagertanks. Die Bierfabrik Berlin beliefert Gastronomie, Einzelhändler und den Großhandel – es scheint zu laufen.
Sebastian, der auf mich einen ruhigen sympathischen Eindruck macht, merke ich seine Begeisterung fürs Produkt an, als er mir seine Brauerei zeigt. Er ist offenbar Überzeugungstäter und lebt für sein Produkt. Dazu gehört es auch, dass sämtlicher Strom, den die Brauerei verbraucht, aus regenerativen Quellen kommt. Er erklärt mir das derzeitige Sortiment. Neben den Standardabfüllungen, Rotbier, Heimat (Weizen) und Pale Ale, brauen Sebastian und seine Freunde unter dem Titel “On the Spur of the Moment” sehr interessante saure Biere – und mit dem Maple Walnut ein leckeres Stout. Besonders angetan bin ich von dem Barrel Age Sour Beer – ein spontangäriges Sauerbier, das in Barriquefässern gereift ist. Ein fantastisches Bier, dem man Sebastians Ausbildung zum Winzer anmerkt und das ihr demnächst auch in der Craftquelle Bonn kaufen könnt.