Als ich kürzlich ein paar Tage am Starnberger See, in Salzburg und München verbracht habe, ist mir etwas Seltsames passiert. Mir schmeckte plötzlich Craftbeer nicht mehr. Wie es dazu kam und warum am Ende doch noch alles „gut“ wurde, könnt ihr hier nachlesen.
Neulich bin ich mit einem Bonner Craftbeer-Pionier mit dem Zug von Bonn nach Köln zum Sommelier-Stammtisch gefahren. Wir unterhielten uns über die Craftbeer-Szene in Deutschland und ich erzählte ihm, dass ich in zwei Wochen zur Braukunst Live nach München fahren wollte.
Daraufhin schimpfte er, den ich bisher immer als sehr ruhigen und besonnenen Menschen erlebt hatte, wie ein Rohrspatz über München und dass es dort in seinen Augen keine Craftbeer-Kultur gäbe. Klar - die klassischen Münchener Biermarken befinden sich alle in den Händen von großen Konzernen und das Oktoberfest hat mit bewusstem Biergenuss ganz sicher nichts zu tun, sondern ist eher ein kollektives Besäufnis. Nichtsdestotrotz wollte ich mir den Spaß nicht verderben lassen und bin natürlich doch nach München gefahren.
Starnberger See
In diesem Jahr hat es offenbar viel geschneit in Bayern. Alles ist weiß in Feldafing, dem kleinen Ort am Starnberger See wo wir ein paar Tage bleiben wollen. Als wir endlich in unserem urigen Gasthof ankommen, ist es schon dunkel. Zum Essen ist es zu spät, aber ein Bier kriegen wir noch. Welch ein Glück nach fast sieben Stunden Auto. Ein Helles oder ein Zwickel von Hacker-Pschorr gibt es zur Auswahl. Ich entscheide mich für beides: Zuerst das Helle und dann das Zwickel. Hacker Pschorr – kann man machen, wenn man kurz vorm Verdursten ist, denke ich. Mir schmeckt es aber verhältnismäßig gut – besonders das Zwickel. Aber auch das Helle geht ziemlich geschmeidig den Rachen runter.
Wie das so bei bayerischen Wirtsleuten ist, kommt man beim Bier schnell ins Gespräch. Die Wirtin erzählt, was die Gegend an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Interessant ist für mich die Tatsache, dass das berühmte Kloster Andechs gerade mal 10 Kilometer entfernt ist. Wir beschließen am nächsten Tag von Herrsching am Ammersee hinauf zum Kloster Andechs zu wandern. 1,5 Stunden durch den Wald und am Ende einen sehr schönen Ausblick über das verschneite Land. Das Highlight ist neben der Wallfahrtskirche natürlich die urige Braustube. Hier sitzen Jung und Alt in einem langen holzvertäfelten Raum auf Holzbänken und trinken Bier. Wie es sich für eine bayerische Braugaststube gehört, herrscht Selbstbedienung und es kann auch eigenes Essen mitgebracht und hier verspeist werden.
Kloster Andechs
Rund eine Millionen Pilger wollen immer noch jährlich den „heiligen Berg Bayerns“ erklimmen und die Wallfahrtskirche besuchen. Ob nun die hier verwahrten Reliquien die Massen locken oder das berühmte von Mönchen gebraute Bier sei mal dahingestellt. Jedenfalls ist Andechs mit einem Brauvolumen von mehr als 100.000 Hektolitern Bier die größte unter den wenigen noch verbliebenen Klosterbrauereien in Deutschland. Noch heute treffen die Mönche alle Entscheidungen, auch wenn sie von etwa 70 weltlichen Mitarbeitern bei der Arbeit unterstützt werden. Das wohl bekannteste Bier aus der Klosterbrauerei ist der dunkle Doppelbock mit 7,1 Prozent Alkohol. In der Fastenzeit galt so ein Starkbier als flüssiges Brot und diente den Mönchen dazu, gutgelaunt durch die entbehrungsreiche Zeit zu kommen.
Doch wie schmeckt das Dunkle direkt hier am Ort der Entstehung frisch aus dem Fass gezapft? Herrlich – kann ich nur sagen. Erstaunlich intensive Röstaromen, die ich von der Flaschenabfüllung so nicht kenne. Dazu eine leckere bayerische Riesenbreze und Käse aus der klösterlichen Produktion – was kann es Schöneres geben? Ich fühle mich wie im Paradies.
Der 0,5 Krug heißt hier „Halbe“, also eine Menge, die bei uns ein „Großes Bier“ heißt. Die Bayern haben offenbar ein ganz anderes Mengenverständnis, wenn es ums Bier geht. Nach drei „Halben“ sind wir selig genug für den Abstieg. Wir wählen eine andere Route, die zum Ammersee hinunterführt und dann noch eine ganze Weile am See entlangführt. Wir erreichen Herrsching im Sonnenuntergang und wieder lockt das Bier. Ein schöner Biergarten direkt am See. Hier gibt es Dachsbräu aus Weilheim – eine Brauerei, die im Jahr 1879 von einem Münchner Brauer gegründet wurde. Ich trinke das Helle und es schmeckt fantastisch. Liegt es vielleicht am Sonnenuntergang oder am Bier? Den krönenden Abschluss findet dieser Tag im Tutzinger Hof in Starnberg. Hier verliebe ich mich in ein dunkles Weissbier vom Kloster Scheyern. Was für ein Bier. Herrliche malzige Schokonoten – die super zu meiner vegetarischen Lasagne passen.
Salzburg
Vom Starnberger See ist ein Tagesausflug nach Salzburg durchaus machbar. Bei wenig Verkehr, ist das in zwei Stunden zu schaffen. Zuerst geht’s es in die älteste Weissbierbrauerei Österreichs: „Die Weisse“. Von außen eher schäbig, entpuppt sich das Innere als ein spannendes Konglomerat aus vielen urigen „Stuben“, einem lauschigen Biergarten und dem modernen loftartigen Sudwerk, wo auch regelmäßig Musik- oder andere kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Auch hier wähle ich zuerst wieder die dunkle Variante und die schmeckt sehr gut.
Dann geht es weiter zum berühmten Augustiner Bräustübl Mülln – eine Institution in Salzburg. Ein Biertempel der Superlative auf 5.000 Quadratmetern, mit 1.000 Plätzen in vier großen Sälen und nochmal 1.400 Plätzen draußen – das größte Braugasthaus in ganz Österreich. Die ursprünglich von Augustiner-Mönchen gegründete Schenke kann auf eine wechselvolle und über 400 Jahre alte Geschichte zurückblicken.
Unzählige Stammtische haben hier seit Jahrzehnten ihre Heimstatt. Wer keinen eigenen Krug hat, nimmt sich einfach einen Tonkrug aus einem Regal. Denn ohne Krug gibt es kein Bier. Ausgeschenkt wird nur eine Sorte: Das Augustiner-Märzen, das nichts mit dem gleichnamigen bayerischen Bier zu tun hat. „Es rinnt das Bier wie im Schlaraffenland“, so hat der exzentrische Schriftsteller Thomas Bernhard das Bräustübl beschrieben. Bernhard war seiner österreichischen Heimat in einer intensiven Hassliebe verbunden. So geht es mir auch mit diesem Ort. Einerseits werden hier offensichtlich Massen abgefertigt, andererseits kann man immer noch die einzigartige Atmosphäre spüren.
München
Am folgenden Abend gehen wir zur Braukunst Live – mit rund 100 Ausstellern einem der größeren Craftbeer-Festivals in Deutschland. Doch vorher muss noch ein kleiner Ausflug ins Biervana sein – der wahrscheinlich hippeste Craftbeer-Shop in München. Hier decken wir uns mit einigen Spezialitäten ein, die wir noch nicht kennen und fahren weiter von Schwabing in die Innenstadt. Wir parken im Parkhaus unter der Schrannenhalle am Viktualienmarkt und bewundern diese schöne Markthalle. Weiter geht es über den Markt zum Marienplatz – ich sehe Biertempel an jeder Ecke. Im Augustiner am Dom trinken wir schließlich ein paar Halbe Augustiner Edelstoff und vergessen fast, dass wir ja noch zur Braukunst Live wollten.
Unterwegs machen wir noch einen kurzen Halt im Tap-House in der Rosenheimerstraße und trinken ein Craftbeer vom Fass. Und da passiert es: Es schmeckt nicht. Obwohl es teuer und gut sein sollte. Es liegt auch nicht am Tap-House oder am Bier – es liegt an mir. Irgendwie bin ich nicht auf Craftbeer eingestellt. Endlich im MVG Museum angekommen, wo die Braukunst Live stattfindet fremdele ich schon wieder. Ich sehe alle die nerdigen Craftbeer-Typen mit Ihren Bärten und karierten Hemden und denke, ist doch irgendwie lächerlich, wie toll, die sich offenbar vorkommen. Auch hier schmeckt mir das erste Bier gar nicht. Was ist bloß mit mir los? Bin ich auf einmal für das Craftbeer verdorben? Bin ich zum hirnlosen Barbaren mutiert, der nur noch Ein-Liter Krüge wässrige Plörre in sich reinschüttet?
Da entdecke ich den Stand der Flügge-Brauerei aus Frankfurt und komme ins Gespräch mit den Brauern. Ich entscheide mich für den Bier Wein Hybrid „Sieke & Ole“ und es schmeckt grandios. Als nächstes gehe ich zum Stand von David Hertl und entscheide mich für den Whisky Doppelbock – und völlig vergessen ist all das Schüttbier aus den Brauhäusern. Es kommt noch besser. Ich entdecke den Stand von Schorschbräu. Schorsch der legendäre Eisbockspezialist aus Franken, der sich das berühmte Battle mit der schottischen Brauerei Brewdog geliefert hat. Es ging darum, wer das stärkste Bier brauen kann und am Ende haben sich die Schotten dem 57 prozentigen Schorschbock beugen müssen. So ein 0,33 Fläschchen Schorsch-Bock kostet 250 Euro und hier kann man für 10 Euro ein 0,015 Liter-Gläschen probieren.
Eine Investition, die sich wirklich gelohnt hat. Überhaupt nicht spritig, eher wie ein sehr guter Likör oder Porter. Aber das trifft es nicht. So intensive Aromen in einem Getränk – der Wahnsinn. Wie bei einem guten schottischen Rauchwhisky gehen die Aromen auch gar nicht mehr aus dem Glas raus – alles was ich danach trinke schmeckt nach Schorsch-Bock.
Als wir schließlich unsere Jacken holen, müssen wir eine Weile an der Garderobe anstehen. Vor uns ist eine Gruppe bayerischer Jungs, die so sturzbesoffen sind, dass sie gar nicht mehr geradestehen können. Ekelhaft – denke ich – können die nicht ins Hofbräuhaus gehen und sich da vollschütten? Keine Bierkultur die Münchner!